Am 13. April 2023 wurde Familie Lopez – Mutter Emilia und ihre 2 Kinder Joia (21) und Joshua (15) – nach Indien abgeschoben. Zuvor hatten sie über 2 Jahre in Haslach in Oberösterreich gewohnt und waren dort in der Gemeinde gut integriert. Für besonderes Unverständnis sorgte die Abschiebung, weil die Tochter mitten in der Ausbildung zur Altenpflegerin stand. Auch die Mutter arbeitete in Haslach in einem Mangelberuf, sie war Köchin. Der Bürgermeister und die gesamte Gemeinde setzten sich für den Verbleib der Familie ein und organisierten sogar kurzfristig eine Demonstration vor dem Familienschubhaftzentrum “Zinnergasse”, aber erfolglos. Am 13. April um 17 Uhr wurde die Familie abgeschoben. Auch Medien haben umfassend berichtet: unter anderem das Bezirksblatt und der Standard.
Es ist ja eigentlich schon abstrus genug, dass eine angehende Altenpflegerin, die in Österreich so dringend gebraucht wird, abgeschoben wird – jetzt gibt es ganz aktuell auch einen Einblick darin, wie viel diese (und ähnliche) Abschiebungen kosten und welcher Personalaufwand da von Seiten des Innenministeriums betrieben wird.
An der Abschiebung der Familie waren laut Innenministerium 17 Polizeibeamt*innen und 2 Vertreter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) beteiligt. 19 Personen und 5 Einsatzfahrzeuge für die Abschiebung einer Mutter, einer jungen Frau und ihres minderjährigen Bruders. 8 Polizist*innen haben die Familie auf dem Linienflug nach Delhi begleitet. Das macht an reinen Flugkosten über 21.000 Euro. Dazu kommen Unterkunftskosten für die Polizist*innen von fast 900 Euro und Personal- und Fahrzeugkosten, die vom Innenministerium nicht genauer beziffert werden können.
Es hat also 7400 Euro gekostet, um eine Altenpflegerin, die in Österreich dringend gebraucht würde, abzuschieben. Nochmal 7400 Euro hat es gekostet, eine Köchin abzuschieben, die in Österreich auch händeringend gesucht wird. Und für nochmal 7400 Euro wurde ein junger Mann abgeschoben, der mitten in seiner Schulausbildung stand.
Die SPÖ (genauer gesagt der Bürgermeister von Haslach und Bundesrat Dominik Reisinger) hat in der parlamentarischen Anfrage deshalb auch die folgende, sehr berechtigte Frage gestellt:
Antwort des Innenministeriums: “Die Beantwortung dieser Fragen fällt nicht in den Vollzugsbereich des Bundesministeriums für Inneres.” Ich finde, diese Fragen sollten dringend der Person gestellt werden, in deren “Vollzugsbereich” das fällt.
Quelle: Anfragebeantwortung 3799/AB-BR/2023 “Abschiebung der Familie Lopez aus Haslach”
Wie viele Kinder wurden letztes Jahr abgeschoben? Wie lange sind Menschen in Schubhaft? Wie viele Charterflüge wurden abgesagt und warum? Und was hat das Innenministerium im Zusammenhang mit Abschiebungen bei einer martialisch anmutenden Schweizer Firma bestellt?
Ich hab mich durch die letzten parlamentarischen Anfragebeantwortungen gewühlt, damit ihr es nicht müsst.
Jeden einzelnen Tag im Schnitt 9 Menschen. Jeden Tag 9 Schicksale, 9 Geschichten, 9 enttäuschte Hoffnungen. Erschreckt ganz schön diese Zahl, finde ich.
Das Innenministerium gibt nach Kritik an seiner Informationspolitik seit 2022 neue Statistiken heraus. In der monatlich erscheinenden Asylstatistik geht es um Asylanträge, Entscheidungen und die Grundversorgung. Zusätzlich gibt es ganz neu quartalsweise eine sogenannte “Detailstatistik – Kennzahlen BFA“. Hinter dieser sehr seltsamen Bezeichnung verbirgt sich eine gut 30seitige Aussendung mit Statistiken zu Familienzusammenführungen, Asylaberkennungen, Dublinverfahren, Ausreisen und Daten zu unbegleiteten Minderjährigen in Asylverfahren. Auf den ersten Blick eine wirklich gute Sache, auf den zweiten Blick dann nicht mehr ganz so gut. Warum, hab ich vor ein paar Monaten mal hier aufgeschrieben. Diese Statistik ist aber die einzige, die wir zur Zeit haben und deshalb wollen wir uns die mal anschauen. Ich hab 3 interessante Teilbereiche rausgepickt:
Dass man bei der Anreise nach Rhodos, Palma oder Antalya eventuell in einem Flugzeug sitzt, mit dem gerade Menschen nach Pakistan oder Nigeria abgeschoben wurden, wissen die wenigsten. Und auch das Hotel mit dem tollen Pool und dem umfangreichen All-inclusive-Buffet könnte dem Konzern gehören, der gut die Hälfte aller Charterabschiebungen aus Österreich durchführt. Continue reading “Mit dem Abschiebeflieger in den Sommerurlaub?”
Update 15.6.: Gestern Nacht haben sich die Ereignisse überschlagen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am späten Nachmittag in einer seltenen Eilentscheidung die Abschiebung einer der sieben Personen untersagt, weil nicht gewährleistet sei, dass in Ruanda ein rechtskonformes Asylverfahren stattfinden kann. Den vollständigen Text der “interim measure” findet man hier. Angelehnt an diese Entscheidung haben die Rechtsvertreter*innen der anderen Abzuschiebenden weitere Rechtsmittel versucht.
Auch britische Gerichte haben in Anlehnung an die einstweilige Verfügung des EGMR die Abschiebung einzelner Personen in allerletzter Minute untersagt. Wie die Journalistin Molly Blackall auf Twitter schreibt, war die Besatzung bereits im Flugzeug, als Gerichte über das Schicksal der letzten Personen entschieden haben. Um 22:10 Uhr (20 Minuten vor dem geplanten Abflug!) konnte die NGO “Care4Calais”, die mehrere Asylwerber*innen vertreten hat, endgültig vermelden:
Am 13. April 2022 haben Boris Johnson, der britische Premierminister, und Priti Patel, die umstrittene Innenministerin, den “Rwanda asylum plan” bekannt gegeben. Menschen, die mit dem Boot über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, sollen zukünftig noch vor Bearbeitung ihres Asylantrags nach Ruanda abgeschoben werden können – egal, aus welchem Land sie ursprünglich stammen. Unter den ersten Abgeschobenen befinden sich Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Vietnam. Continue reading “UK schiebt Asylwerber*innen nach Ruanda ab”
Das Innenministerium veröffentlicht seit Jahren monatliche Statistiken zum Asylwesen, aber die enthalten nur Zahlen zu den Asylanträgen und Entscheidungen des BFA. Also nur Informationen zu einem sehr, sehr kleinen Teil des Asyl- und Fremdenwesens in Österreich. Offizielle Informationen zu Dublin-Verfahren, Aberkennungen, Abschiebungen, Familienverfahren und unbegleiteten Minderjährigen hat man nur über parlamentarische Anfragen bekommen oder über Presseaussendungen des BFA, wenn das Thema gerade politisch gepusht werden sollte.
Druck von mehreren Seiten hat nun offenbar dazu geführt, dass die Informationspolitik des Innenministeriums geändert wurde. 2021 hat das BMI mit der Fachhochschule St. Pölten die „Transparenz und Veröffentlichung der Daten der Asyl- und Fremdenrechtsstatistik des Innenministeriums“ evaluiert und im Oktober 2021 einen Endbericht dazu erstellt. Der Bericht stellt Österreich im Ländervergleich ein gutes Zeugnis aus (no na ned…), empfiehlt aber Verbesserungen in der grafischen Darstellung, die zusätzliche Bereitstellung von Daten zu Dublin-Verfahren, Grundversorgung, Abschiebungen und Aberkennungen und die Verwendung von Excel oder offenen Dateiformaten (z.Bsp CSV).
Endlich gibt es auch vom Innenministerium (BMI) Zahlen und Fakten zu Schubhaft und Abschiebungen 2021. Mit ein paar überraschenden und ein paar nicht so überraschenden Angaben. Dieser erste Post befasst sich mit Schubhaft und den “Rückkehrberatungseinrichtungen des Bundes”.
– Wie viele Menschen hat Österreich im Spätsommer 2021 ausgeflogen? Und wo findet man Hilfe, wenn man Verwandte aus Afghanistan nach Österreich holen möchte?
Im August 2021 haben die radikalislamischen Taliban innerhalb weniger Tage die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und das Land unter ihre Kontrolle gebracht. Das war der Beginn einer der größten Evakuierungsaktionen aller Zeiten. Im Rahmen des „Kabul Airlift“ wurden zwischen 14. und 25. August 2021 über 122.000 Personen ausgeflogen. 200 Menschen haben im Gedränge und bei einem Selbstmordanschlag auf den Flughafen ihr Leben verloren. Ich denke, wir erinnern uns alle an die dramatischen Bilder, als Tausende verzweifelt versucht haben, in ein wartendes Flugzeug oder überhaupt erst in den Flughafen zu kommen.
US-amerikanische Streitkräfte allein haben über 80.000 Menschen evakuiert – die meisten davon amerikanische Staatsbürger*innen und „Special Immigrant Visa applicants“ (also Afghan*innen, die für die US Regierung gearbeitet haben). Viele Länder haben angekündigt, zusätzlich zu afghanischen Ortskräften auch besonders gefährdete Personen aufzunehmen. Kanada und Großbritannien etwa wollen jeweils 20.000 Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und gefährdete Frauen und Familien aufnehmen. Eine EU-Initiative will 40.000 Menschen aufnehmen. Deutschland hat im Rahmen des „Airlift“ über 6000 Menschen ausgeflogen und will in den nächsten Monaten weiteren 25.000 Afghan*innen die Einreise ermöglichen.
2021 gab es von offizieller Seite, sprich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und vom Innenministerium, so wenige Informationen zu den Abschiebungen wie seit Jahren nicht mehr. So fehlt zum Beispiel für 2021 die Halbjahresbilanz des BFA, die seit 2015 eigentlich jeden Sommer veröffentlicht wird. Ich bin mal gespannt, ob es im Februar eine Jahresbilanz geben wird. Diese 2 Statistiken sind mehr oder weniger die einzigen Zahlen, die das BFA zu Abschiebungen von sich aus bekannt gibt. Zu den einzelnen Charterflügen gibt es manchmal Presseaussendungen, aber auch nicht immer. Andere Informationen gibt das Innenministerium nur bekannt, wenn es in parlamentarischen Anfragen explizit danach gefragt wird.
Also gibt’s die Infos gesammelt hier. 7 Fakten zu den Abschiebungen 2021:
Immer wieder kommt die Frage auf, in welche Länder abgeschoben wird, abgeschoben werden kann und in welche nicht. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass es für Abschiebungen irgendwelche Abkommen bräuchte oder dass es Länder gibt, die ihre Staatsbürger*innen nicht oder nur in Einzelfällen zurücknehmen. Aber stimmt das?
Die europäische Kommission hat im Februar diesen Jahres ein internes, nicht öffentliches Dokument erstellt, in dem die Kooperation von Drittstaaten bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger*innen beurteilt wird. Auf 104 Seiten finden sich Informationen und Einschätzungen zu 39 Staaten – von Algerien über Ghana und den Irak bis Somalia und Vietnam. Der Bericht basiert auf einer Befragung der Schengenstaaten und Frontex und befasst sich mit den bürokratischen Notwendigkeiten, die erforderlich sind, bevor jemand aus dem EU-Gebiet rückgeführt werden kann. Es geht also darum, wie einfach es ist, Reisekokumente zu erhalten, ob Charterflüge durchgeführt werden können, ob es Einschränkungen für Linienflüge gibt, welche Identitätsdokumente akzeptiert werden und so weiter.
Grund für diese Erhebung sind wohl auch neue Visabestimmungen der EU, die seit 2020 in Kraft sind – Staaten, die nicht bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger*innen kooperieren, können damit rechnen, dass „besondere Beschränkungen im Zusammenhang mit der Visumsbearbeitung und möglicherweise eine höhere Visumsgebühr eingeführt werden. Stelle die Kommission fest, dass ein Drittstaat bei der Rückübernahme ausreichend kooperiert, kann sie dem Rat vorschlagen, einen Durchführungsbeschluss zu erlassen, der eine Senkung der Visumgebühren, eine Verkürzung der Bearbeitungszeit oder eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer von Visa für die mehrfache Einreise vorsieht.“ Also wollte man 2020 wohl mal erheben, wie es denn mit der Kooperation der einzelnen Staaten aussieht.
Im Folgenden sind ein paar wichtige allgemeine Punkte zusammengefasst und Länder genauer beschrieben, bei denen es immer wieder Unsicherheiten und Fragen gibt. Der Link zum kompletten Dokument (zur Verfügung gestellt von Statewatch) findet sich hier. Wichtig ist noch anzumerken, dass das Dokument vom Februar 2021 ist und die Situation 2019 erfasst. Es könnte sich also (wie im Fall von Afghanistan) die Lage seither geändert haben. Dennoch finde ich, dass der Bericht einen guten Überblick und Einblick gewährt.
Schüler*innen des Oberstufenrealgymnasium Anton-Krieger-Gasse in Wien protestieren gerade gegen die bevorstehende Abschiebung einer Schulkollegin nach Serbien. Organisationen wie die Volkshilfe Wien und die “Aktion kritischer Schüler_innen” haben sich dem Protest angeschlossen und eine Petition gestartet. Das Gratisblatt “heute” hat darüber berichtet.
Im Jänner 2021 gab es lautstarke Proteste gegen die Abschiebung von Schüler*innen nach Georgien und Armenien. Verfolgt man diese Medienberichte, könnte man den Eindruck gewinnen, Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen seien absolute Einzelfälle, die nur ein, zwei Mal im Jahr vorkommen. Das ist aber nicht der Fall, wie die Statistiken zu 2020 und aktuelle Zahlen zu Abschiebungen 2021 zeigen.
Das Innenministerium gibt in einer aktuellen parlamentarischen Anfragebeantwortung an, im Zeitraum Jänner bis August 2021 14 Kinder und Jugendliche abgeschoben zu haben. Wohin, weiß man wie immer zum größten Teil nicht, weil das Innenministerium in allen Beantwortungen immer nur die “Top Ten”-Länder anführt. Fakt ist, es wurden bis zum Sommer 14 Minderjährige abgeschoben. Dazu kommen noch 30 Minderjährige, die im Rahmen der “Dublin-Verordnung” in andere EU-Länder überstellt wurden.
Für das Jahr 2020 (das Jahr, in dem der Flugverkehr über Monate beinahe vollständig zum Erliegen kam!) gibt es genauere Zahlen. Letztes Jahr wurden 67 Kinder und Jugendliche abgeschoben, der Großteil davon waren georgische Staatsbürger*innen. Zusätzlich wurden noch 49 Minderjährige im Rahmen der Dublin-Verordnung in andere EU-Länder überstellt.
13 Minderjährige wurden 2020 in Schubhaft angehalten, 11 davon waren unbegleitete Minderjährige!
Diese Zahlen, so erschreckend sie sind, sind allerdings Zahlen aus Pandemiejahren. Der Flugverkehr war 2020 über viele Monate fast vollständig eingestellt und bis heute gibt es Schwierigkeiten und Restriktionen bei der Einreise in manche Länder. Das betrifft auch die Schubhaft und Abschiebungen. Das BMI schreibt deswegen in der aktuellen Anfragebeantwortung:
“Die Zahlen von 2021 und 2020 sind aufgrund der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Herausforderungen nicht mit den Vorjahren vergleichbar.”
Das stimmt. 2019 wurden 105 Minderjährige abgeschoben, für die Jahre davor gibt es keine Daten, weil die Zahlen offiziell erst seit 2019 nach Männern, Frauen und Minderjährigen aufgeschlüsselt werden. Ich beobachte seit mehreren Monaten, dass die Abschiebemaschinerie wieder massiv hochgefahren wird. Wir werden wohl bald wieder die Zahlen von vor der Pandemie erreichen.
Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen sind also bei weitem keine Einzelereignisse oder Extremfälle, sondern finden regelmäßig statt. Die meisten Kinder und Jugendlichen, die davon betroffen sind, haben aber keine laute Zivilgesellschaft im Rücken oder Medienkontakte, die ihren Fall in die Zeitung bringen könnten. Umso wichtiger ist es, dass Schulkolleg*innen, Freund*innen, Lehrer*innen, Unterstützer*innen diese Kontakte nutzen um solche Fälle öffentlich zu machen.
Am 21.09.2021 fand wieder eine Charterabschiebung nach Nigeria statt, die sechste in diesem Jahr. Wie auch die letzten Charterflüge wird dieser Flug zusammen mit Deutschland organisiert und durchgeführt.
Das Flugzeug der “Air Tanker Services” ist um 05:18 morgens in Wien gestartet und nach einer Zwischenlandung in Düsseldorf im 14:26 Uhr Ortszeit in Lagos gelandet. (Warum die Charterlinie so einen seltsamen Namen hat, könnt ihr hier nachlesen.) Es wurden laut refugees4refugees 29 Personen aus Deutschland abgeschoben und laut BMI 5 Personen aus Österreich. 13 Menschen kamen aus den Niederlanden und anderen europäischen Ländern dazu.
Zu Abschiebungen in afrikanische Länder gibt es relativ wenig Medienberichte. Es gibt auch nicht viele Zahlen dazu. Charterflüge nach Nigeria werden bekannt, weil sie so häufig stattfinden und wir wissen auch, wie viele Menschen jährlich nach Nigeria abgeschoben werden, weil es so viele sind, dass sie in den “Top Ten” der außereuropäischen Länder in parlamentarischen Anfragen auftauchen. Bei den anderen Ländern ist die Datenlage sehr dürftig. Es gibt zwar eine neue Statistik des Innenministeriums zu Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen von Staatsbürger*innen afrikanischer Länder, aber die lässt (wie meistens) viele Fragen offen.
Nigeria ist das afrikanische Land, in das mit Abstand die meisten Menschen abgeschoben werden. Von 2016 bis März 2021 waren es 1041 Personen. Es ist auch das einzige afrikanische Land, in das es regelmäßige Charterflüge gibt. Mit großem Abstand folgen Algerien (327 Personen) und Marokko (256 Personen). In alle anderen Länder wurden in den letzten 5 Jahren weniger als 100 Menschen abgeschoben.
Aber Stop: Da beginnt schon das Problem mit der Statistik. Wie immer hebt das Innenministerium hervor, dass Statistiken zu Außerlandesbringungen nicht nach Zielland, sondern nach Staatsangehörigkeit geführt werden. Somit kann man nicht mit Sicherheit sagen, wohin die Personen abgeschoben wurden, sondern nur welche Staatsbürgerschaft sie haben. Laut BMI wurden zum Beispiel zwischen 2016 und März diesen Jahres 49 somalische Staatsbürger*innen abgeschoben. Mir sind aus Medienberichten aus ganz Europa nur sehr vereinzelte Abschiebungen unter hohem Kostenaufwand nach Somalia bekannt – ich kann mir nicht vorstellen, dass Österreich in den letzten 5 Jahren so viele Personen nach Somalia rückgeführt hat. Ich nehme an, dass es sich wie bei den Abschiebungen syrischer Staatsbürger*innen um Personen handelt, die einen Aufenthaltstitel in einem Drittstaat haben und dorthin zurück geschickt wurden. Aber mit diesen Statistiken weiß man das wieder mal alles nicht so genau.
Wer genauer nachlesen will: Aktuelle Zahlen zu Asylanträgen, Entscheidungen, Abschiebungen und “freiwilligen” Ausreisen afrikanischer Staatsbürger*innen findet man hier.
Alle paar Monate poppt in österreichischen Medien und einschlägigen Gruppen die Meldung auf, Österreich schiebe mit Bosnien und Serbien zusammen Menschen ab oder bringe in Österreich abgelehnte Asylwerber*innen nach Bosnien oder Serbien in eigene Camps. Aber was ist da dran? Ich hab mir dazu mal die aktuellen Medienberichte und parlamentarischen Anfragebeantwortungen angeschaut.
Im Prinzip geht es da um 2 getrennte Dinge. Das eine ist eine Zusammenarbeit von Österreich mit Bosnien bei Rückführungen, das andere ist ein Plan, abgelehnte Asylwerber*innen nach Serbien abzuschieben und dort in Camps unterzubringen.
Abschiebungen mit Bosnien-Herzegowina
Das Innenministerium plant nicht, in Österreich abgelehnte Asylwerber*innen nach Bosnien oder über Bosnien in ihre Herkunftsländer abzuschieben – auch wenn dem Innenministerium vielleicht ganz Recht ist, dass man das denken könnte. Bosnien ist kein EU-Land und kann deshalb weder Abschiebungen über Frontex organisieren, noch gibt es von Frontex Ausbildung oder finanzielle Refundierung für Abschiebungen. Und hier will jetzt Österreich ins Spiel kommen. Es geht darum, dass Österreich bosnische Eskortbeamt*innen ausbildet, diese Beamt*innen auch als als Beobachter*innen an Charterflügen teilnehmen und es jede Menge Videokonferenzen zum „Abstecken der gemeinsamen Aufgaben, einer Ist-Stands-Erhebung der Lage und Bedürfnisse vor Ort in Bosnien-Herzegowina sowie der Vermittlung probater Arbeitsprozesse („best practice“) in der Rückkehrvorbereitung und Durchführung von Außerlandesbringungen“ gibt. Ende Juli 2021 ist auch ein Rückführungsabkommen zwischen Bosnien und Pakistan in Kraft getreten, das 2020 ausgehandelt wurde. Zwischen den Zeilen kann man in parl. Anfragebeantwortungen, Aussendungen und Presseberichten herauslesen, dass Österreich da ev. eine Vermittlerrolle hatte und auch in Zukunft plant, bei Verhandlungen mit Drittstaaten zu helfen.
Das Ziel ist laut Nehammer „den Migrationsdruck durch die Unterstützung direkter Abschiebungen aus Bosnien-Herzegowina verringern und die richtige Botschaft in die Herkunftsländer” zu schicken, “dass es keinen Sinn hat sich auf den Weg zu machen”. Derzeit seien 1.200 Pakistani in Bosnien-Herzegowina, “deren Ziel es ist, nach Mitteleuropa weiterzukommen”, heißt es in einer Mitteilung des Innenministeriums. Sie hätten aber laut dem Innenminister “keine Chance auf Asyl in der EU”. Laut parl Anfragenbeantwortung ist das jeweilige Land (also Bosnien) selbst zuständig um zu entscheiden, wer Asyl in Bosnien bekommt und wer nicht und deshalb abgeschoben werden soll. Österreich helfe nur bei der Organisation der Abschiebung. Man müsse mit den Rückführungen nämlich “bereits vor den Toren der EU beginnen”.
Der zuständige bosnische Sicherheitsminister spricht übrigens von 3000 Pakistanis, die abgeschoben werden sollen und sagt, die neue bosnische Vorgehensweise (also Abschiebungen) betreffe „illegale Wirtschaftsmigranten aus Pakistan, Bangladesh, Afghanistan, Marokko, Algerien, Tunesien und Irak.“ Er wünscht sich außerdem, dass das Geld, das die EU zur Zeit für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellt, in Zukunft für Abschiebungen verwendet wird. Bosnien sei nicht „der Parkplatz der EU“.
Ob es den im April 2021 groß angekündigten Charterflug aus Bosnien nach Pakistan inzwischen gab? In den parl. Anfragebeantwortungen ist die Antwort dazu ausweichend und ich habe auch sonst nirgends etwas dazu gefunden. Mein Gefühl ist, es gab viele Videokonferenzen und Workshops und „best practice Gespräche“, aber ich glaube nicht, dass es tatsächlich schon einen Flug gab. Wenn man sich aber die Wortwahl bosnischer Politiker anschaut, ist die Richtung allerdings klar. Das wird sich in den nächsten Monaten wohl noch verschärfen, wenn neue Fluchtbewegungen aus Afghanistan stattfinden.
Abschiebungen nach Serbien
im April 2019 hat der damalige Innenminister Herbert Kickl eine Vereinbarung mit Serbien geschlossen um in Österreich abgelehnte Asylwerber*innen nach Serbien abschieben zu können. Österreich wollte dort eigene Unterkünfte dafür finanzieren. Nehammer hält laut Aussendung an dem Projekt fest. „Illegal in Österreich aufhältige Fremde, bei denen eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt, sofern die Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht möglich ist und ein ausreichender Bezug des Fremden zur Republik Serbien besteht“, sollen nach Serbien gebracht werden. Der ausreichende Bezug zu Serbien ist laut Inneministerium bei vielen Abgelehnten gegeben, denn „durch die Flucht über die Westbalkan-Route (weisen) viele Fremde einen ausreichenden Bezug zu Serbien auf“. Heißt: Wenn jemand in Österreich rechtskräftig abgelehnt wurde, nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden kann und nachweislich über Serbien in die EU gekommen ist, soll er oder sie nach Serbien zurückgebracht werden.
Im August 2021 gab es eine neuerliche parlamentarische Anfrage, in der die FPÖ nachgefragt hat, ob es diese Camps und Rückführungen jetzt schon gäbe. Nehammer hat etwas kompliziert und über 3 Ecken mit „Nein“ geantwortet. Sein Festhalten an der Vereinbarung und dass er sie auch immer mal wieder erwähnt ist wohl eher der Beruhigung seiner Wählerbasis geschuldet als einem realen Fortschritt bei der Einführung dieser Camps. Aber auch das muss man natürlich im Auge behalten. Am Westbalkan wird sich in den nächsten Monaten einiges tun.
Aktuelle parlamentarische Anfragebeantwortungen vom August 2021:
In einem Beitrag der ZIB2 gestern über Abschiebungen nach Afghanistan hieß es, es wurden 2021 bisher 199 Afghanen abgeschoben, davon sollen 127 strafrechtlich verurteilt gewesen sein. Diese Zahlen sind fast 4 Mal so hoch wie die Zahlen, die das Innenministerium bisher genannt hat. Deshalb hab ich bei der ZIB nachgefragt, woher die Zahlen kommen und hab zur Antwort eine Statistik aus dem Innenministerium erhalten. Kurz zusammengefasst: Dass heuer 199 Afghan*innen abgeschoben wurden, ist falsch. Dass heuer 199 Afghan*innen Österreich verlassen haben, trifft es eher. Dass 127 von ihnen strafrechtlich verurteilt gewesen sein sollen, kann ich nicht glauben und wäre eine riesige Veränderung zu den Zahlen aller vorherigen Jahre.