Welche Länder kooperieren bei Rückführungen und welche nicht? – ein interner Bericht der EU Kommission

Immer wieder kommt die Frage auf, in welche Länder abgeschoben wird, abgeschoben werden kann und in welche nicht. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass es für Abschiebungen irgendwelche Abkommen bräuchte oder dass es Länder gibt, die ihre Staatsbürger*innen nicht oder nur in Einzelfällen zurücknehmen. Aber stimmt das?

Die europäische Kommission hat im Februar diesen Jahres ein internes, nicht öffentliches Dokument erstellt, in dem die Kooperation von Drittstaaten bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger*innen beurteilt wird. Auf 104 Seiten finden sich Informationen und Einschätzungen zu 39 Staaten – von Algerien über Ghana und den Irak bis Somalia und Vietnam. Der Bericht basiert auf einer Befragung der Schengenstaaten und Frontex und befasst sich mit den bürokratischen Notwendigkeiten, die erforderlich sind, bevor jemand aus dem EU-Gebiet rückgeführt werden kann. Es geht also darum, wie einfach es ist, Reisekokumente zu erhalten, ob Charterflüge durchgeführt werden können, ob es Einschränkungen für Linienflüge gibt, welche Identitätsdokumente akzeptiert werden und so weiter.

Grund für diese Erhebung sind wohl auch neue Visabestimmungen der EU, die seit 2020 in Kraft sind – Staaten, die nicht bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger*innen kooperieren, können damit rechnen, dass „besondere Beschränkungen im Zusammenhang mit der Visumsbearbeitung und möglicherweise eine höhere Visumsgebühr eingeführt werden. Stelle die Kommission fest, dass ein Drittstaat bei der Rückübernahme ausreichend kooperiert, kann sie dem Rat vorschlagen, einen Durchführungsbeschluss zu erlassen, der eine Senkung der Visumgebühren, eine Verkürzung der Bearbeitungszeit oder eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer von Visa für die mehrfache Einreise vorsieht.“ Also wollte man 2020 wohl mal erheben, wie es denn mit der Kooperation der einzelnen Staaten aussieht.

Im Folgenden sind ein paar wichtige allgemeine Punkte zusammengefasst und Länder genauer beschrieben, bei denen es immer wieder Unsicherheiten und Fragen gibt. Der Link zum kompletten Dokument (zur Verfügung gestellt von Statewatch) findet sich hier. Wichtig ist noch anzumerken, dass das Dokument vom Februar 2021 ist und die Situation 2019 erfasst. Es könnte sich also (wie im Fall von Afghanistan) die Lage seither geändert haben. Dennoch finde ich, dass der Bericht einen guten Überblick und Einblick gewährt.

Charterflüge

Wenn Staaten sich weigern, Charterflüge zuzulassen, bedeutet das eine relativ große Einschränkung für Rückführungen. In viele Länder gibt es keine Direktflüge und Rückführungen auf Linienflügen sind auch immer durch Bestimmungen der einzelnen Fluglinien eingeschränkt. Außerdem lassen sich mit Linienflügen meistens nur Einzelpersonen abschieben, was es für die Länder kompliziert und aufwändig macht.

Die Staaten, die 2019 keine Charterflüge aus der EU oder Schengenstaaten erlaubt haben, sind folgende: Algerien, China, Eritrea, Indien, Iran, Libyen, Mali, Marokko, Palästina (weil es dort keinen Flughafen gibt und die Nachbarstaaten Jordanien, Israel und Ägypten die Rückführungen behindern) und Gambia (seit März 2019).

Möglich sind Charterflüge in die folgenden Länder: Armenien, Aserbaidschan, Bangladesh, Belarus, Kamerun (mit vielen Einschränkungen – nur 6 Personen pro Flug, Visa für Begleitpersonen, Einschränkungen in der Landezeit,…), Elfenbeinküste, Demokratische Republik Kongo, Ägypten, Äthiopien, Ghana, Irak (mit Einschränkungen), Kosovo, Mongolei, Nigeria, Pakistan, Russland, Senegal, Sri Lanka, Sudan, Tunesien, Türkei und Vietnam.

Das heißt aber nicht, dass Österreich dorthin auch Charter durchgeführt hat – nur dass die Länder solche Flüge zulassen. Die Liste ist auch nicht abschließend, weil für den Bericht der Kommission nur 39 Staaten berücksichtigt wurden. Wohin es in den letzten Jahren aus Österreich Charterflüge gegeben hat, findet man hier für 2019, 2020 und 2021.

Linienflüge

Manche Länder haben Bestimmungen, die Rückführungen auf Linienflügen erschweren. Zum Beispiel, dass Escort-Beamt*innen ein Visum für das Land brauchen, das zuerst beantragt und genehmigt werden muss und natürlich auch Bearbeitungszeit in Anspruch nimmt. Solche Bestimmungen gibt es zum Beispiel für Aserbaidschan, China, die Komoren, die Demokratische Republik Kongo, Ghana, Guinea-Bissau, Indien, Pakistan, Russland und Sri Lanka.

Bei Rückführungen in die Republik Kongo müssen begleitende Beamt*innen am selben Tag zurückfliegen. Und Algerien hat eine für viele Staaten sehr einschränkende Bestimmung – sie erlauben nämlich nur Rückführungen auf Direktflügen. Die gibt es aus vielen Ländern aber nicht.

Foto: Matthew Smith

Armenien

Es gibt ein Abkommen mit der EU, das am 1.1.2014 in Kraft getreten ist. 2019 haben 3755 armenische Staatsbürger*innen eine Rückkehrentscheidung in der EU erhalten, davon wurden 2080 außer Landes gebracht – das ist eine „Rückführungsrate“ von 55%. EU-Staaten haben 1556 Mal Reisedokumente bei armenischen Behörden beantragt, 1148 Dokumente wurden ausgestellt.

15 EU-Staaten haben 2019 Personen nach Armenien rückgeführt. Die Staaten berichten, dass das Abkommen mit der EU immer oder sehr oft eingehalten wird, die Kooperation sei sehr gut oder gut. Die Hälfte der Staaten berichtet, dass für die Ausstellung von Dokumenten so gut wie nie Befragungen an der Botschaft notwendig sind. Für die Identifikation akzeptieren armenische Behörden eine Reihe von Dokumenten: unter anderem gültige und abgelaufene Pässe, Geburtsurkunden, Führerscheine, Militärausweise und Kopien davon. Reisedokumente werden sehr zeitnah ausgestellt, die Mitgliedsstaaten mussten keine EU-Dokumente oder laissez-passer ausstellen. Charterflüge werden von Armenien ohne Einschränkungen akzeptiert. Auch Linienflüge wurden aus allen Staaten akzeptiert (mit der Ausnahme eines Fluges, auf dem Staatsbürger*innen mit Gesundheitsproblemen abgeschoben hätten werden sollen)

Eritrea

Es gibt kein Abkommen und aufgrund der hohen Anerkennungsraten hat es für die EU auch keine Priorität ein Abkommen auszuhandeln.

Im Jahr 2019 haben 3615 Eritreer eine Rückkehrentscheidung erhalten, 155 sind nach Eritrea zurückgekehrt. Die Mitgliedsstaaten haben 116 Mal bei eritreischen Behörden Reisedokumente angefordert, nur 6 Dokumente wurden ausgestellt. Nur 8 Mitgliedsstaaten haben eritreische Behörden überhaupt für Rückführungen kontaktiert. Alle diese Staaten bewerten die Kooperation als schlecht oder sehr schlecht. Die Ausstellung von Reisedokumenten erfolge fast nie kurzfristig. Nur zwei Mitgliedsstaaten haben versucht, Menschen auf Charterflügen abzuschieben. Die eritreischen Behörden haben diese Flüge immer abgelehnt. Im Allgemeinen stellen die meisten Schengenstaaten fest, dass die Zusammenarbeit bei der Rückkehr und Rückübernahme unbefriedigend oder nicht vorhanden ist. Ein Grund dafür sei auch die vorherrschende politische und sicherheitspolitische Lage des Landes.

Iran

Es gibt kein Abkommen mit der EU oder einzelnen Ländern, aber „Terms of References for a Comprehensive Dialogue between Iran and the EU on Migration and Refugee issues“. Darin ist auch die Rückübernahme von Abgeschobenen geregelt, aber die Terms wurden bis jetzt noch nicht unterschrieben.

20 Mitgliedsstaaten haben 2019 iranische Behörden wegen der Rückübernahme von Staatsbürger*innen kontaktiert. 428 Mal wurden Reisedokumente angefordert, die Behörden haben nur 93 Dokumente ausgestellt. Reisedokumente werden nur für eine freiwillige Rückkehr ausgestellt. Das heißt, der Iran ist damit tatsächlich das einzige Land (unter den 39), der ausschließlich freiwillige Rückkehrer*innen zurücknimmt und das auch so kommuniziert. Die EU ist natürlich bestrebt, dass beide Seiten die “Terms of References” unterschreiben, damit sich in Zukunft etwas daran ändert. Wann das passieren wird, ist nicht klar.

Irak

Es gibt kein Abkommen mit der EU, aber 4 Staaten haben bilaterale Abkommen zur Rückführung geschlossen und es gab mehrere Gespräche zwischen Dezember 2017 und März 2019 mit der EU über ein Abkommen. Auch Frontex ist bei Rückführungen in den Irak schon beteiligt und hat 2019 organisatorisch bei der Durchführung von Charterflügen geholfen und auch begonnen, EU-Staaten bei Linienflügen zu unterstützen.

2019 haben in der EU 21.015 irakische Staatsbürger*innen eine Rückkehrentscheidung erhalten, 5315 irakische Staatsbürger*innen sind in den Irak zurückgekehrt. Das sind 25%.

Die Schengenstaaten haben 759 Mal Reisedokumente bei irakischen Behörden angefordert, 222 Mal wurden diese Dokumente auch ausgestellt. 22 der 26 Mitgliedsstaaten haben angegeben, irakische Behörden wegen einer Rückkehr kontaktiert zu haben. Ein Viertel der Staaten gibt dazu an, dass der Irak so gut wie nie eigene Staatsbürger*innen zurücknimmt. Mit 4 Mitgliedstaaten gibt es ein bilaterales Abkommen. Ein Staat sagt dass, dieses Abkommen auch eingehalten wird (dürfte Deutschland sein), ein Staat gibt an, es werden nur Straffällig zurückgenommen und 2 Staaten melden, dass das Abkommen nicht eingehalten wird.

9 Schengenländer geben an, dass die Kooperation mit irakischen Behörden bei der Identifikation ihrer Staatsbürger*innen sehr schlecht funktioniert, 11 weitere Länder geben an, dass die Kooperation sehr gut funktioniert. Dürfte also sehr an der jeweiligen Botschaft liegen. Manche Staaten gaben an, dass Reisedokumente nur für Personen ausgestellt werden, die freiwillig zurückkehren möchten oder schwere Straftaten begangen haben.

Von irakischen Behörden akzeptiert werden gültige und abgelaufene Pässe und zum Teil auch andere Identitätsdokumente (allerdings in den meisten Fällen nur die Originale davon und keine Kopien). Dazu muss aber gesagt werden, dass die Identifikation als irak. Staatsbürger*in nicht unbedingt die Ausstellung von Reisedokumenten für eine Abschiebung nach sich zieht.

5 Mitgliedsstaaten führen Charterabschiebungen durch (Deutschland zum Beispiel sehr regelmäßig), andere Schengenstaaten führen Rückführungen auf Linienflügen durch.

Nur 5 Mitgliedsstaaten bewerten die Kooperation mit dem Irak als gut oder verbessert seit 2015. Die restlichen Länder bewerten sie als stabil, durchschnittlich oder negativ.

Somalia

Es gibt kein Abkommen auf EU-Ebene. Ein paar Schengen-Staaten haben bilaterale Abkommen. Somalia hat allerdings das „Cotonou Abkommen“ unterschrieben, in dem die Partnerstaaten sich auch verpflichten, mit der EU in der Rücknahme von eigenen Staatsbürger*innen zu kooperieren.

2019 haben 5885 Somalier*innen Rückkehrentscheidungen erhalten, 235 somalische Staatsbürger*innen sind nach Somalia zurückgekehrt. 11 von 26 Schengenstaaten haben somalische Behörden 2019 wegen Rückführungen kontaktiert.

3 Mitgliedsstaaten bewerten die Kooperation somalischer Behörden als gut, 4 als durchscnittlich. Die größten Probleme sind die Kooperation mit diplomatischen Vertretungen, Einschränkungen für Abschiebungen und Einschränkungen ja nach Region, aus der die Personen kommen. 4 Länder bewerten die Kooperation als schlecht oder sehr schlecht. Reisedokumente werden laut diesen 4 Staaten selten bis gar nicht zeitnah ausgestellt. Es werden zuätzliche Informationen wie die Gesundheit, Familienanschluss in Somalia, die Herkunftsregion und ob die Rückkehr freiwillig erfolgt oder nicht bei der Ausstellung von Reisekoumenten berücksichtigt.

5 Mitgliedsstaaten geben ans, dass ein laissez-passer oder andere Reisedokumente, die vom Schengenstaat ausgestellt werden, akzeptiert werden. Nur ein Mitgliedsstaat führt Charterflüge nach Somalia durch.

Generell bewerten die Mitgliedsstaaten die Kooperation mit Somalia als stabil bis schlecht.


Im Anhang des Berichtes findet sich noch eine Übersicht, mit welchen Ländern die EU Rückübernahmeabkommen hat und welche Länder bilaterale Abkommen haben. Wie immer sei hier noch darauf hingewiesen, dass es für Rückführungen keine Abkommen braucht – mit vielen Ländern gibt es auch informelle Übereinkünfte und einfach gute Beziehungen zu den jeweiligen Botschaften. Abkommen erleichtern nur die Rückführungen.

Screenshot “Report European Commission – Assessment of third countries’ level of cooperation on readmission in 2019” Seite 103

Ganzes Dokument: REPORT FROM THE COMMISSION TO THE COUNCIL
“Assessment of third countries’ level of cooperation on readmission in 2019”