9 Fakten zu Abschiebungen

Wie viele Kinder wurden letztes Jahr abgeschoben? Wie lange sind Menschen in Schubhaft? Wie viele Charterflüge wurden abgesagt und warum? Und was hat das Innenministerium im Zusammenhang mit Abschiebungen bei einer martialisch anmutenden Schweizer Firma bestellt?

Ich hab mich durch die letzten parlamentarischen Anfragebeantwortungen gewühlt, damit ihr es nicht müsst.

Jeden einzelnen Tag im Schnitt 9 Menschen. Jeden Tag 9 Schicksale, 9 Geschichten, 9 enttäuschte Hoffnungen. Erschreckt ganz schön diese Zahl, finde ich.

Nach einer positiven Veränderung im Jahr 2021 sind letztes Jahr wieder deutlich mehr Kinder und Jugendliche abgeschoben worden. Vielleicht weil die Kindeswohlkommission ihre Arbeit beendet hat? 2019 wurden über 100 Kinder und Jugendliche zwangsweise außer Landes gebracht, 2020 waren es 67. In 2021, dem Jahr der Kindeswohlkommission und der medial breit dokumentierten Abschiebung von Tina und ihrem Bruder nach Georgien, ist die Zahl auf nur 14 Minderjährige gefallen. Einzig positive Entwicklung im letzten Jahr: Unter den 36 abgeschobenen Kindern und Jugendlichen war kein einziger unbegleiteter Minderjähriger.

 

Wie jedes Jahr hat auch 2022 der Großteil der Abgeschobenen eine EU-Staatsbürgerschaft. Allein Slowak*innen machen 32% der Abschiebungen aus, gefolgt von Ungar*innen und Rumän*innen. Unter den Top10-Ländern finden sich überhaupt nur 3 Nicht-EU-Länder, also Drittstaaten, nämlich Nigeria, Serbien und Indien. Wenn medial und in sozialen Netzwerken von Abschiebungen die Rede ist, sprechen die meisten Menschen von nur 15% der Außerlandesbringungen – nämlich jenen, die nicht EU-Bürger*innen oder Bürger*innen der Balkanstaaten betreffen. In den parlamentarischen Anfragen der Neos sind die unter dem Punkt “andere Drittstaaten” aufgeführt:

Screenshot: 13976/AB XXVII. GP – Anfragebeantwortung, Seite 24

Wie schon 2021 taucht auch in dieser Liste wieder Syrien auf – wir wissen aber schon aus vorigen Anfragen, dass es keine Abschiebungen nach Syrien gibt. Das Innenministerium steht auf dem Standpunkt, dass es Statistiken über Abschiebungen nach Staatsangehörigkeit und nicht nach Zielland führt und deshalb auch nicht sagen kann, wohin die Menschen abgeschoben wurden, sondern nur, welche Staatsbürgerschaft sie haben. (Es sei jedem selbst überlassen, ob er oder sie es glaubwürdig und nachvollziehbar findet, dass das Innenministerium nicht sagen kann, wohin es Menschen abschiebt.) Da Abschiebungen in Einzelfällen auch in einen Drittstaat erfolgen können, in dem die Person einen aufrechten Aufenthalt hat, wurden die 21 Syrer*innen also nicht nach Syrien geflogen, sondern vermutlich in die Türkei, den Libanon, Jordanien,… So genau weiß man das nicht und das Innenministerium weiß es angeblich auch nicht.

 

Die FPÖ hat vom Innenministerium eine genauere Aufstellung der Kosten bekommen, die 2022 im Rahmen von Abschiebungen angefallen sind und zumindest eine der Ausgaben wirft große Fragen auf.

Den Großteil der 2,25 Mio. Euro machen Flugkosten aus, gebucht über Vermittlungen wie PAS Professional Aviation oder Lufthansa AirPlus.

45.000 Euro haben Abschiebungen mit Bussen gekostet. Durchgeführt haben die Fahrten Blaguss Reisen, Dr. Richard Reisebus und Herbert Gschwindl Autobus.

Weitere Kosten waren Verpflegung für 17.000 Euro (unter anderem von Billa und Getränke Kazianschütz) und Kosten für medizinisches Personal, Dolmetscher*innen, PCR-Tests und Hotels.

Ganz unten in der Kostenauflistung findet sich dann ein Punkt, der mich etwas stutzig gemacht habt. Unter dem Punkt “Sonstiges” sind 20.000 Euro aufgeführt, die an die Firma “Hartkern5” gingen. Die Firma mit der sehr martialischen und unprofessionell wirkenden Homepage sitzt in der Schweiz und vertreibt eine abstruse Mischung an Produkten. Es sieht aus wie eine Firma, die von einer Einzelperson aus einem Wohnblock heraus betrieben wird und vor allem Prepper und private Wehrsportgruppen ansprechen will. Verkauft werden dort angeblich (unter dem Link zum Shop findet man nur eine gmx-Emailadresse) Messer, Äxte, Waffenholster und etwas, das sich “Fesselungsgurt Kerberos Belt” nennt.

Screenshot: www.hartkern5.com vom 3.5.2023

Was könnte das österreichische Innenministerium um 20.000 Euro bei dieser Firma bestellt haben? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass eine der nächsten parlamentarischen Anfragen das klären wird.

 

Das ist sehr spannend. Zum ersten Mal beantwortet das Innenministerium nach einer Anfrage der FPÖ die Frage nach abgesagten Charterflügen. Von 42 geplanten Charterabschiebungen mussten letztes Jahr 15 abgesagt werden. Das ist jeder 3. Flug. Hat mich persönlich sehr überrascht. Gestrichen wurden:

    • ein Flug nach Ägypten, weil “keine Beteiligung Österreichs möglich war”.
    • 2 Flüge nach Nordmazedonien und Serbien, 2 Flüge nach Aserbaidschan und 1 Flug in den Senegal, weil es “zu wenig Anmeldungen” gab.
    • 1 Flug nach Bangladesch und 2 Flüge nach Gambia, weil der organisierende EU-Staat den Flug abgesagt hat.
    • 2 Flüge nach Nigeria, weil es keine Landegenehmigung durch die nigerianischen Behörden gab.
    • 2 Flüge nach Pakistan, weil Pakistan bereits ausgestellte Heimreisezertifikate nicht mehr akzeptiert hat.
    • und 2 Flüge nach Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs und der damit zusammenhängenden Flugbeschränkungen.

 

769 Mal sind letztes Jahr Menschen inmitten von normalen Fluggästen abgeschoben worden. In der letzten Reihe sitzend, manche mit Begleiter*innen, die nicht auf den ersten Blick als Polizist*innen erkennbar sind. Einige davon mit ihren Kindern. Während Urlauber*innen nach Ägypten, Marokko oder in die Türkei geflogen sind, wurden 2 Reihen hinter ihnen Menschen abgeschoben.

Von den 3.371 Abschiebungen finden die allermeisten aber auf dem Landweg statt, weil wie schon oben erwähnt, die meisten Menschen in Österreichs Nachbarländer abgeschoben werden. Nicht mal ein Drittel aller Abschiebungen passiert auf dem Luftweg. Charterabschiebungen sind noch viel seltener. Nur 133 Menschen (von 902 auf dem Luftweg Abgeschobenen!) wurden letztes Jahr auf einem Charterflug außer Landes gebracht. In alle Charterdestinationen gibt es auch Abschiebungen auf Linienflügen. Ich möchte daher wie immer eindringlich davor warnen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen, wenn es gerade keine Charterflüge in ein bestimmtes Land gibt.

 

Neu dazu gekommen sind 2022 Indien und Ägypten. Die zweite Neuerung 2022 war ein Flug nach Nigeria, der nicht von einem EU-Staat organisiert wurde, sondern von Frontex selbst. Frontex hat in den letzten Jahren immer wieder erklärt, sie möchten sich in den ganzen Prozess der “Rückführungen” einbringen – sprich: auch die Dokumentenbeschaffung, die Transfers und die Flüge durchführen. Man wird im Auge behalten müssen, was das für die Zukunft heißt.

 

Besonders spannend ist im Zusammenhang mit Schubhaft die Frage, wie viele Menschen aus der Schubhaft heraus abgeschoben werden und wie viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen wieder frei kommen. Das Innenministerium beantwortet diese Frage in der aktuellen parlamentarischen Anfragebeantwortung mit: “Entsprechende Statistiken werden nicht geführt […]”

Seltsam ist, dass es diese Statistik in einer Anfragebeantwortung vom September 2022 sehr wohl gab. Eine sehr ausführliche Statistik sogar. In der wird klar, dass Menschen einiger Nationalitäten aus Schubhaft heraus sehr selten abgeschoben werden können. Von Jänner bis August 2022 wurden zum Beispiel 112 Inder*innen in Schubhaft angehalten – nur 16 von ihnen konnten auch abgeschoben werden. Ähnlich sieht es mit Menschen aus Bangladesch aus. Nur 14% der Schubhäftlinge wurden abgeschoben. Vergleichbare Zahlen gibt es bei Schubhäftlingen aus Nordafrika.20% der ägyptischen, 26% der tunesischen und 28% der marokkanischen Schubhäftlinge wurden abgeschoben. Dazu kommt, dass diese Menschen überdurchschnittlich lange in Schubhaft sind. Während die durchschnittliche Dauer 33 Tage beträgt, saßen Ägypter*innen, Marokkaner*innen und Bangladescher*innen über 2 Monate in Haft.

 

Das Innenministerium hat in den letzten Monaten immer wieder Iraner in Schubhaft genommen. Der Standard hat unter anderem drüber berichtet. Die Neos haben das Innenministerium danach gefragt und Ende April 2023 folgende Antwort bekommen:

“Allgemein wird angemerkt, dass der Iran im Zusammenhang mit Abschiebungen mit Hinweis auf die iranische Verfassung generell nicht kooperiert. Es besteht daher auch keine Zusammenarbeit im Bereich der Rückkehrvorbereitung (Dokumentenbeschaffung) bei zwangsweisen Außerlandesbringungen. Abschiebungen bei vorhandenen gültigen Reisedokumenten waren bislang grundsätzlich nach einer im Einzelfall individuell und umfassend durchgeführten und positiv ausfallenden Zulässigkeitsprüfung möglich.”

Es könnten also im Einzelfall nur Personen mit einem gültigen iranischen Reisepass abgeschoben werden. Alle andern Iraner*innen können nicht zwangsweise in den Iran gebracht werden. Mir sind keine Abschiebungen in den Iran bekannt und auch laut Eurostat, dem statistischen Zentralamt der EU, gab es in den letzten Jahren keine einzige Abschiebung aus Österreich in den Iran. Heißt nicht, dass das Innenministerium nicht mit Nachdruck versucht, abgelehnten Iraner*innen eine “freiwillige Rückkehr” ans Herz zu legen.

 


Quellen:

Liste aller Charterflüge 2022

Schubhaft, Abschiebungen, Dublin- und Aberkennungsverfahren im Jahr 2022, Anfrage Neos, 28.4.2023

Entscheidungen gegen Schutz für iranische Asylwerber:innen seit Beginn der Proteste im Iran, Anfrage Neos, 21.4.2023

Abschiebungen im Jahr 2022, Anfrage FPÖ, 24.3.2023

Asylverfahren minderjähriger Asylsuchender, Anfrage Neos, 9.3.2023

Zahlen zu Asyl 2022, Anfrage Neos, 21.9.2022

Abschiebungen im ersten Halbjahr 2022, Anfrage FPÖ, 9.9.2022