Abschiebungen 2021

„Wie viele Abschiebungen gab es im Jahr 2021? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit, Monat der Abschiebung und Destination.“

Diese Frage wird dem Innenministerium in jeder parlamentarischen Anfrage zu diesem Thema seit Jahren gestellt und die Antwort ist immer die gleiche:

„Es wird angemerkt, dass Statistiken zu Abschiebungen grundsätzlich nach Staatsangehörigkeit und nicht nach Zieldestination geführt werden.“

Das heißt, das Innenministerium kann zwar sagen, wie viele afghanische oder slowenische Staatsbürger*innen abgeschoben wurden, aber nicht wohin. Die Angabe des Ziellands ist wichtig, weil Abschiebungen theoretisch in verschiedene Länder erfolgen können:

    • in den Herkunftsstaat
    • in ein Transitland, mit dem es darüber ein bilaterales Rückübernahmeabkommen oder andere Vereinbarungen gibt (das kommt praktisch nicht vor)
    • in einen anderen Drittstaat, in dem der Abzuschiebende einen Aufenthaltstitel hat und in dem er oder sie aufgenommen wird.

Praktisch ist es so, dass die meisten Menschen in ihren Herkunftsstaat abgeschoben werden. Aber es gibt immer wieder Abschiebungen, bei denen das nicht der Fall gewesen sein kann. Es tauchen zum Beispiel in den Statistiken immer wieder syrische Staatsangehörige auf – auf Nachfrage beim Innenministerium wird aber bestätigt, dass es keine Abschiebungen nach Syrien gibt. Es wurden im September 2021 (als der Flughafen Kabul nach der Talibanübernahme geschlossen war) laut Innenministerium auch noch 4 afghanische Männer abgeschoben. Sicher nicht nach Afghanistan. Wohin, weiß mit diesen Statistiken niemand. Im Mai 2021 wurde laut BMI ein minderjähriger somalischer Staatsbürger abgeschoben. Ich gehe stark davon aus, dass er nicht nach Somalia geschickt wurde.

Aber führt das Innenministerium wirklich keine Aufzeichnungen darüber, wohin Menschen abgeschoben werden? Wir haben daran berechtigte Zweifel. Der damalige Innenminister Peschorn hat zum Beispiel im Dezember 2019 in der 6. Sitzung des Nationalrats ausgeführt: „Es gab im Jahr 2018 307 Außerlandesbringungen nach Afghanistan, davon 187 Ab­schiebungen. Im ersten Halbjahr 2019 waren es 180 und im zweiten Halbjahr – und dieses zweite Halbjahr habe ich zu verantworten – sind es bis jetzt 252, also mehr.“

Ich hab außerdem eine spannende Statistik aus dem Innenministerium gefunden. Im Sommer 2021 hat die SPÖ im Bundesrat an den damaligen Innenminister Nehammer unter anderem folgende Frage gestellt: „In welche Länder erfolgten diese Abschiebungen (aufgegliedert nach den 3 Gruppen, minderjährig bei Abschiebung, minderjährig bei Antragstellung, restliche)?“ Das Innenministerium antwortet überraschenderweise mit folgender Statistik:

Screenshot: 3599/AB-BR vom 7.7.2021

In der aktuellen Anfrage der NEOS wurde das Innenministerium mit den Aussagen von Peschorn zu Abschiebungen nach Afghanistan konfrontiert, die Antwort ist:

Ich hab den Satz jetzt mehrmals gelesen und ich verstehe ihn inhaltlich nicht.

Gesamtzahl

2021 wurden aus Österreich 3341 Menschen abgeschoben.

Von den 3341 Abgeschobenen waren 68% EU-Bürger*innen, vor allem aus der Slowakei, Ungarn und Rumänien. 14% sind Staatsbürger*innen von Westbalkanstaaten, also zum Beispiel aus Albanien, Bosnien-Herzegowina oder dem Kosovo. „Nur“ 16% aller Abgeschobenen kommen aus Ländern, aus denen typischerweise Asylwerber*innen kommen, also etwa aus Nigeria, Afghanistan, Pakistan oder Bangladesch. 87% der Abgeschobenen sind Männer.

 

Das Innenministerium gibt in den veröffentlichten Statistiken jeweils nur die “Top 10” Staatsbürgerschaften an, deshalb muss man sich die Zahlen ein bisschen zusammensuchen, um eine halbwegs vollständige Liste zu bekommen. Ich hab das hier mal gemacht. Abgeschobene Personen 2021 nach Staatsangehörigkeit (nicht nach Zielland! Achtung, am Ende der Liste stehen 19 syrische Staatsbüger*innen, die nicht nach Syrien abgeschoben wurden!) Bei allen Ländern, die hier nicht vorkommen, weiß man durch die Statistik wenigstens, dass 2021 weniger als 15 Personen abgeschoben wurden.

Staatsangehörigkeit Anzahl
Slowakei 918
Ungarn 433
Rumänien 356
Serbien 317
Polen 264
Nigeria 120
Bulgarien 84
Tschechische Republik 76
Afghanistan 66
Albanien 62
Deutschland 62
Türkei 55
Russische Föderation 53
Georgien 45
Kosovo 41
Bosnien-Herzegowina 35
Ukraine 32
Pakistan 31
Indien 28
Nordmazedonien 27
Slowenien 24
Kroatien 22
Bangladesh 19
Syrien 19
Montenegro 17
Italien 15
andere Staatsbürgerschaften 123

 

Abschiebungen sind also erfreulicherweise 2021 insgesamt weiter zurückgegangen. Es wurden auch sehr viel weniger Kinder und Jugendliche abgeschoben als in den Jahren zuvor. Ich hoffe wirklich, dass die Kindeswohlkommission und die breite Berichterstattung über die Schülerinnenabschiebung nach Georgien ein Umdenken herbeigeführt haben und die Zahlen auch 2022 so niedrig bleiben.

Die meisten abgeschobenen Minderjährigen kommen übrigens weiterhin aus Georgien.

Screenshot: 9405/AB, vom 28.3.2022, BMI

Frontex-Charteroperationen

Abschiebungen finden fast ausschließlich auf Flügen statt. Entweder auf normalen Linienverbindungen oder mit eigens dafür gemieteten Flugzeugen. Das BMI ist etwas inkonsistent mit den Informationen über Charterflüge. Mal gibt es zu jedem Flug eine eigene Presseaussendung, mal gibt es monatelang überhaupt keine Infos. Deshalb sind auch Fragen zu Charterflügen fixer Bestandteil jeder parlamentarischen Anfrage zu diesem Thema. Zum ersten Mal hat das Innenministerium dank einer verbesserten Fragestellung eine komplette Liste aller Charterflüge zur Verfügung gestellt. Aber auch diese Liste bedarf einiger Erklärung. Here we go:

Screenshot: 9405/AB, vom 28.3.2022, BMI

Zuerst muss ich erwähnen, dass ich etwas überrascht war, wie gut meine laufend aktualisierte Liste der Charterflüge ist. Es haben nur ein Flug nach Sri Lanka und einer in den Kosovo gefehlt. (Und natürlich der Bus nach Bosnien-Herzegowina). Alle anderen Charter konnte ich entweder am Tag des Flugs oder am folgenden Tag identifizieren. Die “Liste aller Charterflüge” ist also eine noch bessere Dokumentation, als ich dachte.

Das BMI gibt also an, 43 “Frontex-Charteroperationen” (weil sie von Frontex organisiert und bezahlt werden) durchgeführt zu haben. Diese Zahl ist etwas irreführend, weil es sich dabei nicht um 43 einzelne Flüge handelt, sondern ein Flug mit mehreren Zielen (zum Beispiel Tirana/Pristina oder Yerevan/Tiflis) als 2 Charteroperationen gezählt wurden. Gesamt waren es 34 Flüge.

Auch die Zahl der Abzuschiebenden und der begleitenden Beamt*innen bedarf einer Erklärung: Das BMI gibt hier nur an, wie viele Personen aus Österreich auf den Flügen waren. Die meisten Flüge wurden zusammen mit anderen Ländern durchgeführt und es waren deshalb auch Abzuschiebende und Beamt*innen aus anderen Ländern an Bord.

Etwas überraschend ist, dass das BMI die Fluglinien angibt. In Deutschland (und anderen Ländern) wird das inzwischen nicht mehr gemacht.

Straffälligkeit

Ein politisch sehr brisantes Thema ist immer wieder die angeblich so hohe Quote straffälliger Asylwerber*innen und damit der angeblich hohe Prozentsatz straffälliger Abgeschobener. Dazu kommt, dass das Innenministerium Kritik an Abschiebungen gerne damit kontert, dass größtenteils Straftäter abgeschoben würden. (Dass es auch Straffälligen nicht zugemutet werden kann, zum Beispiel in Afghanistan leben zu müssen, ist eine andere Diskussion.) Aber stimmt das alles eigentlich auch? Schauen wir uns das doch mal genauer an.

Das Innenministerium sagt, es wurden 2021 insgesamt 2118 straffällige Personen mit mindestens einer strafrechtlichen Verurteilung abgeschoben. Das entspricht 63% der außer Landes gebrachten Menschen.

Was auffällig ist und die Statistik extrem verzerrt ist der riesige Unterschied bei den Staatsangehörigkeiten. So sind etwa 82% aller deutschen Abgeschobenen in Österreich straffällig geworden, aber nur 25% aller Pakistaner*innen.

Das lässt sich natürlich dadurch erklären, dass Deutsche ja nur abgeschoben werden, wenn sie straffällig geworden sind (oder mittellos) – der hohe Prozentsatz sagt also rein gar nichts über die Straffälligkeit aller Deutschen in Österreich aus. Genau diesen Rückschluß versuchen die Politik und einige Medien aber zu ziehen, wenn es um straffällige Afghanen oder Nigerianer*innen geht. Dazu kommt noch, dass die große Mehrheit der Abgeschobenen EU-Bürger*innen sind und der Anteil der Straftäter*innen in dieser Gruppe extrem hoch ist. Das verfälscht natürlich die Gesamtzahl weit nach oben und so kann das Innenministerium am Ende vermelden, über 60% der Abgeschobenen seien in Österreich straffällig geworden. Jetzt könnte man meinen, das spielt ja keine so große Rolle, da geht’s um Statistiken, die eh niemand liest. Aber dass diese “Zahlenspielereien” des Innenministeriums ganz klare Auswirkungen haben, möchte ich euch kurz an einem Beispiel vom letzten Jahr erläutern:

In einem Beitrag der ZIB2 am 6.8.2021 über Abschiebungen nach Afghanistan hieß es, es wurden 2021 bisher 199 Afghanen abgeschoben, davon sollen 127 strafrechtlich verurteilt gewesen sein. Diese Zahl war so exorbitant höher als alle Zahlen, die das BMI bisher veröffentlicht hatte und schien mir so seltsam, dass ich beim Journalisten, der den Beitrag gemacht hat, nachgefragt hab. Zur Antwort hab ich einen patzigen Halbsatz und eine Statistik aus dem Innenministerium bekommen.

Screenshot Twitter

In der aktuellen parlamentarischen Anfragebeantwortung gibt es ja Zahlen nach Monaten, also können wir die Abschiebungen 2021 Jänner bis Juli herausrechnen und mit dieser Statistik, die die ZIB2 im Sommer verwendet hat, verleichen. Um es kurz zu machen:

Von Jänner bis Juli wurden 61 afghanische Staatsbürger*innen abgeschoben, 77 wurden Dublin-überstellt. Das entspricht den 138 “zwangsweisen Ausreisen” in der oberen Statistik. Von den Abgeschobenen waren 35 straffällig, bei den Dublin-Fällen waren es vier. Sind also gesamt 39 zwangsweise ausgereiste Straffällige. Das BMI schreibt in der Statistik aber von 127. Da fehlen also 88 Personen. Vielleicht sind die ja alle “freiwillig” ausgereist. Laut Innenministerium sind im fraglichen Zeitraum 62 Afghan*innen “freiwillig” ausgereist. Wenn diese Zahlen aus dem Innenministerium richtig sind, dann sind also 88 von 62 “freiwillig” Ausgereisten vorher in Österreich straffällig geworden.

Im Sommer hab ich in einem Post darüber geschrieben, dass die Zahlen zumindest widersprüchlich sind und mir etwas seltsam vorkommen. Fast sieht es so aus, als hätte das Innenministerium verzerrte Zahlen an Journalisten der ZIB2 weitergegeben, um den Eindruck zu erwecken, ein überwiegender Teil der abgeschobenen Afghanen sei straffällig. Das stimmt nicht. Diese Nachrechnerei interessiert nur Monate später niemanden mehr. Was hängen bleibt, ist die Zahl aus der ZIB.

Fazit

Erfreulicherweise sind Abschiebungen auch 2021 weiter zurückgegangen, vor allem Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen. Ich hoffe, es bleibt so und die Berichterstattung des letzten Jahres hat zu einem Umdenken geführt. Jedes abgeschobene Kind ist eines zu viel.

Letztes Jahr wurde vom Innenministerium die Asyl- und Fremdenrechtsstatistik evaluiert. Jeden Monat veröffentlicht das Innenministerium ja Daten zu Asylanträgen und Entscheidungen – leider finden sich da gar keine Angaben zu Abschiebungen, Dublin-Überstellungen, Asylaberkennungen und vielen anderen Bereichen. Das soll jetzt besser werden. Es gibt für den Jänner bereits die “neue” Statistik (hier). In der gibt es zwar noch immer keine Zahlen zu Abschiebungen, aber ich hab nachgefragt und zur Antwort bekommen, dass “die Daten zu Dublin-Verfahren, Grundversorgung, Abschiebungen und Aberkennungen erst ab der nächsten Veröffentlichung der Statistiken mitaufgenommen werden und noch nicht in der Statistik vom vergangen Jänner berücksichtigt werden konnten.” Ich harre also der Veröffentlichung der Februar-Zahlen und halt euch auf dem Laufenden.

Quelle: Parlamentarische Anfragebeatnwortung des Innenministeriums 9405/AB vom 28.3.2022