Bangladesch? in den Iran? in den Irak? nach Marokko? nach…..? Das werd ich immer wieder gefragt – hier ist der Versuch einer Antwort. Und eine Erklärung dazu, warum diese Frage oft gar nicht so einfach zu beantworten ist.
Was ich sicher beantworten kann, ist in welche Länder es Charterabschiebungen (sprich Flüge mit eigens gemieteten Flugzeugen) gibt. Die Zielländer werden jährlich im Nachhinein vom BFA in ihrer Jahresstatistik veröffentlicht, manchmal gibt es auch eine Presseaussendung dazu und ich verfolge die Flüge via Flighttracker. Viele dieser Flüge kann man auch auf diesem Blog unter „Charterflüge 2019/2020/2021“ nachlesen.
In den letzten 2 Jahren gab es Charter von Österreich nach Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, die Türkei, Usbekistan, Georgien, Armenien, die Russische Föderation, Nigeria, Guinea, Gambia, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, den Kosovo und Albanien. In diese Länder werden also mehr oder weniger regelmäßig Menschen abgeschoben. Es gibt bei manchen Ländern immer mal wieder Verschiebungen bei den Charterflügen – sei es wegen diplomatischer Unstimmigkeiten oder 2020/21 wegen der Covid-Reisebestimmungen, aber das ändert im Großen und Ganzen nichts am System dieser Charterflüge. Meine Beobachtung ist auch, dass sich der „Flugplan“ nach vielen Absagen 2020 und 2021 langsam wieder an die Vorjahre anpasst und wohl bald wieder so viele Charter wie 2019 stattfinden werden (etwa einer pro Woche).
Die meisten Menschen werden aber gar nicht auf Charterflügen abgeschoben, sondern begleitet oder unbegleitet auf ganz normalen Linienflügen. Und da wird’s kompliziert.
Das Innenministerium teilt zwar auf Nachfrage mit, wie viele Personen abgeschoben werden, aber diese Statistiken haben 2 große Mängel: Erstens gibt das Innenministerium nur die „Top 10“ Länder bekannt und zweitens schreiben sie:
„Es wird angemerkt, dass Statistiken zu Abschiebungen grundsätzlich nach Staatsangehörigkeit und nicht nach Zieldestinationen geführt werden.“
Das heißt, wir wissen zwar, dass letztes Jahr z.Bsp. 117 Georgier*innen abgeschoben wurden, aber nicht wohin. Ich weiß, was ihr denkt: “Naja, wohin denn sonst, wenn nicht nach Georgien?” (weil EU-Länder können wir ausschließen – das wären dann Dublinüberstellungen und keine Abschiebungen). In den allerallermeisten Fällen wird sich die Staatsangehörigkeit mit der Zieldestination decken und man kann wohl davon ausgehen, dass die Zahl der Personen, die nicht in ihren Herkunftsstaat abgeschoben werden, vernachlässigbar klein ist. Aber wissen tu ich’s nicht. Wissen tut das mit diesen Statistiken niemand so genau.
Ich muss zugeben, ich hab (wie viele andere, die sich mit der Thematik befassen) in den letzten Jahren auch nie wirklich drüber nachgedacht. Bis zu dieser einen parlamentarischen Anfragebeantwortung, in der das BMI angegeben hat, letztes Jahr 14 syrische Staatsbürger*innen abgeschoben zu haben.
Der Standard hat beim BMI nachgefragt und zur Antwort bekommen, dass „es 2020 keine Außerlandesbringungen nach Syrien gab und dass die in der Statistik erfassten syrischen Staatsangehörigen über einen Aufenthaltstitel in einem Drittstaat verfügen“. Sie wurden also vermutlich in die Türkei, den Irak oder den Libanon abgeschoben. Wohin genau weiß man nicht, weil: fehlende Statistiken.
Es gibt auch noch Daten von Eurostat, dem Statistischen Amt der EU. Dort gibt es wenigstens nicht nur Zahlen zu den “Top 10”-Ländern, sondern alle. Aber weil die Daten dort natürlich auch vom Innenministerium kommen, gibt es auch dort nur belastbare Zahlen zu Abschiebungen nach Staatsangehörigkeit. Hilft also auch nur bedingt weiter. Weil mir einige Abweichungen bei manchen Zahlen aufgefallen sind, hab ich mal bei Eurostat nachgefragt und die Antwort erhalten, dass unter anderem “technical and methodological limitations exist for some data providers and some figures might be estimated.” Da ist also bei der Interpretation der Statistiken Vorsicht geboten und man muss die Zahlen mit anderen Daten gegenchecken.
Wenn ich also nach Abschiebungen in Land XYZ gefragt werde und es keine Charter dorthin gibt und ich auch anekdotisch wenig dazu weiß, bleibt nicht viel anderes übrig, als Recherche in anderen EU-Ländern. Schiebt Deutschland dorthin ab? (Die haben nämlich Zahlen nach Zieldestinationen) Wenn ja, wie häufig und gibt es irgendwelche Einschränkungen? Wenn nein: läßt sich irgendwie herausfinden, warum nicht? Wie sieht’s laut Eurostat aus? Wie aussagekräftig sind die Eurostat-Zahlen? Steht in Frontex-Berichten etwas zu Abschiebungen nach XYZ? Was schreiben englischsprachige Medien in Land XYZ zu Zurückgekehrten aus Europa? Gibt’s Social Media Posts dazu?
Es ist also alles sehr kompliziert und leider nur eine Annäherung an die Wahrheit und so lange das Innenministerium die Statistiken so führt, wie sie eben geführt werden, weiß man nix Genaues.
Zum Schluß noch eine Warnung:
Ich höre immer wieder, es gäbe nach Land XYZ keine Abschiebungen, weil es mit diesem Land “kein Abkommen” gibt. Das Gerücht, dass es zwischen Österreich oder der EU und dem Herkunftsland sowas wie ein Rückübernahmeabkommen braucht um Menschen abzuschieben, ist genau das – ein sehr hartnäckiges Gerücht. Alle Staaten haben die Verpflichtung, ihre eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen bzw. einreisen zu lassen. Ein Abkommen erleichtert lediglich die Organisation von Abschiebungen (etwa auch von Personen, die keine Papiere ihres Herkunftslands besitzen) und legt die Regeln für Rückführungen fest. Außerdem haben die Herkunftsländer die Möglichkeit, politische und wirtschaftliche Vorteile (wie etwa finanzielle Unterstützungen, Visa-Erleichterungen,…) auszuhandeln. Es gibt Länder, mit denen Österreich solche Verträge hat, in die es aber trotzdem keine Charter und relativ wenige Abschiebungen gibt (Tunesien zum Beispiel). Und es gibt Länder, mit denen es kein Abkommen gibt, in die aber trotzdem abgeschoben wird. Ich warne ausdrücklich davor, sich wegen eines “fehlenden” Abkommens in falscher Sicherheit zu wiegen!