Exkurs: Evakuierung aus Afghanistan

– Wie viele Menschen hat Österreich im Spätsommer 2021 ausgeflogen? Und wo findet man Hilfe, wenn man Verwandte aus Afghanistan nach Österreich holen möchte?

U.S. Marine Corps photo by Sgt. Samuel Ruiz, wikimedia commons.

Im August 2021 haben die radikalislamischen Taliban innerhalb weniger Tage die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und das Land unter ihre Kontrolle gebracht. Das war der Beginn einer der größten Evakuierungsaktionen aller Zeiten. Im Rahmen des „Kabul Airlift“ wurden zwischen 14. und 25. August 2021 über 122.000 Personen ausgeflogen. 200 Menschen haben im Gedränge und bei einem Selbstmordanschlag auf den Flughafen ihr Leben verloren. Ich denke, wir erinnern uns alle an die dramatischen Bilder, als Tausende verzweifelt versucht haben, in ein wartendes Flugzeug oder überhaupt erst in den Flughafen zu kommen.

US-amerikanische Streitkräfte allein haben über 80.000 Menschen evakuiert – die meisten davon amerikanische Staatsbürger*innen und „Special Immigrant Visa applicants“ (also Afghan*innen, die für die US Regierung gearbeitet haben). Viele Länder haben angekündigt, zusätzlich zu afghanischen Ortskräften auch besonders gefährdete Personen aufzunehmen. Kanada und Großbritannien etwa wollen jeweils 20.000 Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und gefährdete Frauen und Familien aufnehmen. Eine EU-Initiative will 40.000 Menschen aufnehmen. Deutschland hat im Rahmen des „Airlift“ über 6000 Menschen ausgeflogen und will in den nächsten Monaten weiteren 25.000 Afghan*innen die Einreise ermöglichen.

Und Österreich?

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7 Fakten zu Abschiebungen 2021

2021 gab es von offizieller Seite, sprich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und vom Innenministerium, so wenige Informationen zu den Abschiebungen wie seit Jahren nicht mehr. So fehlt zum Beispiel für 2021 die Halbjahresbilanz des BFA, die seit 2015 eigentlich jeden Sommer veröffentlicht wird. Ich bin mal gespannt, ob es im Februar eine Jahresbilanz geben wird. Diese 2 Statistiken sind mehr oder weniger die einzigen Zahlen, die das BFA zu Abschiebungen von sich aus bekannt gibt. Zu den einzelnen Charterflügen gibt es manchmal Presseaussendungen, aber auch nicht immer. Andere Informationen gibt das Innenministerium nur bekannt, wenn es in parlamentarischen Anfragen explizit danach gefragt wird.

Also gibt’s die Infos gesammelt hier. 7 Fakten zu den Abschiebungen 2021:

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BMI meldet neue Zahlen zu Abschiebungen nach Afghanistan. Aber stimmen die auch?

In einem Beitrag der ZIB2 gestern über Abschiebungen nach Afghanistan hieß es, es wurden 2021 bisher 199 Afghanen abgeschoben, davon sollen 127 strafrechtlich verurteilt gewesen sein. Diese Zahlen sind fast 4 Mal so hoch wie die Zahlen, die das Innenministerium bisher genannt hat. Deshalb hab ich bei der ZIB nachgefragt, woher die Zahlen kommen und hab zur Antwort eine Statistik aus dem Innenministerium erhalten. Kurz zusammengefasst: Dass heuer 199 Afghan*innen abgeschoben wurden, ist falsch. Dass heuer 199 Afghan*innen Österreich verlassen haben, trifft es eher. Dass 127 von ihnen strafrechtlich verurteilt gewesen sein sollen, kann ich nicht glauben und wäre eine riesige Veränderung zu den Zahlen aller vorherigen Jahre.

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Abschiebecharter nach Afghanistan abgesagt – warum und wie geht’s jetzt weiter?

Gestern, am 3.8.2021, hätte die 27. Charterabschiebung von Österreich nach Afghanistan stattfinden sollen. Der Flug wurde kurzfristig abgesagt – und zwar nicht nur der “österreichische Teil”, sondern es wurde auch aus Deutschland (das sich am Flug beteiligt hätte) niemand abgeschoben und es gab auch aus keinem anderen Land gestern Nacht einen Charterflug nach Afghanistan.

Dass komplette Charterflüge so kurzfristig abgesagt werden, kommt sehr selten vor. Der Grund für die Absage dieses Flugs ist eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Die Wiener NGO Deserteurs- und Flüchtlingsberatung hat diese Maßnahme für einen ihrer Klient*innen beantragt. Normalerweise dauern Verfahren vor dem EGMR sehr lange, aber es gibt für Notfälle, in denen “unmittelbare Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens droht” die Möglichkeit, einen Eilantrag zu stellen, der innerhalb von wenigen Stunden behandelt wird. Der Gerichtshof gibt solchen Anträgen nur in sehr wenigen Fällen statt, nämlich, “wenn dem Beschwerdeführer anderenfalls ein ernsthafter und irreversibler Schaden drohen würde”. (siehe Informationsblatt des EGMR)

Adrian Grycuk, CC BY-SA 3.0 PL, via Wikimedia Commons

Was ist also nach dem Antrag weiter passiert? Der EGMR hat dem Eilantrag (der interim measure) zugestimmt und dem Innenministerium mitgeteilt, dass die Abschiebung der Person, die den Antrag gestellt hat, bis Ende August auszusetzen ist. Bis dahin müssen das Innenministerium und der Antragsteller dem EGMR schriftlich mehrere Fragen beantworten und Unterlagen einreichen und das Gericht wird dann über den Antrag entscheiden. Es ist also gestern noch keine Entscheidung gefallen, das Gericht hat nur mal gesagt, “Stop! Wartet’s mit der Abschiebung noch bis wir uns das genauer angeschaut haben und außerdem hätten wir ein paar Fragen.”

Die Fragen, die Österreich beantworten muss, sind folgende: (Achtung, das ist nur eine Arbeitsübersetzung von mir!)

  1. Wie plant die Regierung den Antragsteller am 3.8.2021 abzuschieben, wenn das afghanische Ministerium für Flüchtlinge die Entscheidung getroffen hat, bis 8. Oktober 2021 keine Abschiebungen mehr zuzulassen?
  2. Die neusten Entwicklungen der Sicherheitslage in Afghanistan (die offenbar nicht vom BFA oder dem BVwG in ihrer Entscheidung berücksichtigt wurden) haben dazu geführt, dass das afgh. Flüchtlingsministerium bittet Abschiebungen auszusetzen und Finnland, Schweden und Norwegen haben dem bereits entsprochen. Droht dem Antragsteller in Angesicht dessen ein reales Risiko eines irreparablen Schadens im Sinne von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, sollte er am 3.8.2021 abgeschoben werden?
  3. Hat der Antragsteller alle rechtlichen Möglichkeiten in Österreich ausgeschöpft, in denen die veränderte Sicherheitslage bewertet werden hätte können?

Wenn diese “interim measure” aber nur für einen Einzelfall (nämlich den Antragsteller) gilt, warum wurde dann der gesamte Charterflug abgesagt? Weil diese einstweilige Verfügung laut vielen Jurist*innen etwas Besonderes ist. Normalerweise bezieht sich der EGMR in diesen Verfügungen spezifisch auf die konkrete Situation des/der Antragsteller*in. Warum darf genau diese sehr kranke/besonders gefährdete/politisch verfolgte,… Person, die in Europa Familie hat/kein rechtmäßiges Verfahren hatte,… nicht abgeschoben werden? Das ist diesmal nicht der Fall. Der EGMR bezieht sich ausdrücklich auf die Sicherheitslage in Afghanistan und das betrifft eben nicht nur diese einzelne Person, sondern alle. Und auch nicht nur Abschiebungen aus Österreich, sondern Abschiebungen aus ganz Europa. Das macht diese einstweilige Verfügung so besonders. Und das könnte auch der Grund dafür sein, warum auch Deutschland gestern Nacht noch die Abschiebung abgesagt hat (vom deutschen Innenministerium gibt es keine Angabe zu den Gründen).

Ein interessantes Detail erwähnt auch der Standard in seinem Artikel. Frontex habe am 17.7. die Mitgliedsstaaten darüber informiert, dass temporär von ihnen keine Abschiebeflüge nach Afghanistan mehr organisiert werden.

Wie geht’s also nun weiter? Österreich und der Antragsteller haben bis Ende August Zeit, dem EGMR die Fragen zu beantworten und Unterlagen zur Verfügung zu stellen und der EGMR wird dann zeitnah eine Entscheidung darüber treffen, ob eine Abschiebung des Antragstellers zulässig ist oder nicht. Dann wird man wohl weitersehen.

Was die einstweilige Verfügung für Menschen bedeutet, die mit einer rechtskräftig negativen Entscheidung in Österreich leben und somit akut von Abschiebung bedroht sind, erfragt man im Einzelfall am besten bei einer Rechtsberatung oder einer Anwält*in.

Adressen von Rechtsberatungen in Wien und ganz Österreich findet ihr auf der Seite der asylkoordination. Viele wissen das nicht, aber sowohl die Caritas als auch die Diakonie bieten trotz der neu gegründeten BBU weiterhin Rechtsberatung an!

Adressen von Anwält*innen des Netzwerks Asylanwalt findet ihr hier.

Quellen: Seite der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, auf der man auch die interim measure im Original nachlesen kann.

sehr informativer Twitterthread von @art18bvg

Blogpost des Verfassungsrechtlers Ralph Janik

 

2 Charter in einer Nacht

In der Nacht von 15.6. auf 16.6.2021 fand aus Österreich nicht nur eine Charterabschiebung statt, sondern gleich zwei. Trotz Pandemie, trotz immer noch eingeschränktem Flugverkehr, trotz Kritik an Frontex von allen Seiten hat Europa die Abschiebemaschinerie wieder voll hochgefahren. Daran gibt es nach heute Nacht wohl keinen Zweifel mehr.

Georgien und Pakistan

Der erste Charter ging nach Georgien und Pakistan und wurde von Griechenland organisiert. Österreich und Tschechien haben sich daran beteiligt. Das Flugzeug der Smartwings ist um 18:06 Uhr in Wien gestartet und nach Zwischenstopps in Athen und Tiflis um 09:00 Uhr morgens in Islamabad gelandet.

Screenshot: flightradar24.com

Smartwings ist eine tschechische Billigfluglinie, die vor allem Flüge von Prag aus in Urlaubsdestinationen wie Dubai, Hurghada und Antalya anbietet. Schon 2018 war Smartwings aber auch die Fluglinie, die die meisten Abschiebecharter aus Deutschland geflogen ist. Besonders 2021 waren sie auch für Österreich sehr aktiv und haben Menschen in die Türkei, nach Georgien, Armenien und in die Russische Föderation abgeschoben.

Laut Innenministerium wurden aus Österreich 4 Personen nach Georgien und 2 Personen nach Pakistan abgeschoben. Insgesamt waren 28 Abzuschiebende an Bord.

Afghanistan

Das Ziel des zweiten Charters war Afghanistan. Abflug in Wien um 21:26 Uhr und nach einem Zwischenstopp in Stockholm die Landung in Kabul um 09:19 Ortszeit am Morgen des 16.6. Dieser Flug wurde wie die Letzten auch von EuroAtlantics durchgeführt.

Auch die beteiligten Länder sind gleich geblieben. Auf dem Flug befanden sich laut BMI 3 Personen aus Schweden, 6 aus Österreich, 2 aus Bulgarien und 20 aus Rumänien. Den Zubringerflug von Bukarest nach Stockholm hat wie schon beim letzten Mal Smartwings durchgeführt – die Gesellschaft, die heute auch den Pakistancharter fliegt.

Masoud Akbari, wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Der Charter nach Afghanistan kommt zu einer Zeit, in der sich die ohnehin schon prekäre Sicherheitslage durch den Abzug der ausländischen Truppen noch verschlimmern wird. Die renommierte New York Times führt seit Jahren einen “Afghan War Casualty Report“, in dem das ganze Ausmaß dieses Kriegs Woche für Woche dokumentiert wird. Allein in den ersten 10 Tagen dieses Monats sind 327 Sicherheitskräfte und 82 Zivilist*innen bei Anschlägen ums Leben gekommen.

In den letzten Tagen wurden außerdem 2 Berichte über die Situation  Abgeschobener in Afghanistan veröffentlicht. Einer von Friedericke Stahlmann im Auftrag der deutschen Diakonie und Brot für die Welt (“Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen“), ein zweiter von der schwedischen Organisation Delmi, der sich mit Abgeschobenen aus Schweden befasst. (“Those who were sent back: Return and reintegration of rejected asylum seekers to Afghanistan and Iraq“)

Herat, Anuradha Sengupta on flickr, (CC BY-ND 2.0)

Beide zeichnen ein erschütterndes Bild. Die Abgeschobenen sind einem hohen Maß an Gewalt ausgeliefert. Ohne bestehende soziale Netzwerke, die viele nach Jahren in Europa nicht mehr haben oder nie hatten, weil sie im Iran oder Pakistan aufgewachsen sind, ist der Zugang zu Arbeit oder einer Unterkunft fast unmöglich. Viele sind zusätzlich bedroht, weil es Gerüchte gibt, sie seien in Europa “vom Islam abgefallen” oder weil angenommen wird, sie seien in Europa straffällig geworden und deshalb abgeschoben worden. Dazu trägt auch die mantraartige Wiederholung der falschen Behauptung bei, es würden nur Straffällige abgeschoben.

Charterabschiebung nach Afghanistan am 18.5.2021

In der Nacht von 18. auf 19. Mai haben Österreich, Schweden, Rumänien, Bulgarien und Finnland zusammen eine FRONTEX-Charterabschiebung nach Afghanistan durchgeführt.

Laut der afghanischen NGO AMASO wurden in dem Flug 14 Personen aus Österreich, 14 aus Rumänien, 6 aus Schweden, 2 aus Bulgarien und 2 Personen aus Finnland abgeschoben. Das BMI hat diese Zahlen bestätigt.

Das Flugzeug der EuroAtlantic Airways ist um 20:59 Uhr in Wien gestartet und nach Stockholm geflogen, um dort weitere Personen abzuholen. Landung in Stockholm war um 22:46 Uhr. Von dort ist das Flugzeug nach Kabul geflogen – Landung in Kabul war um 09:57 Uhr Ortszeit am 19. Mai.

Foto: Aaron Davis – CC BY-SA 4.0

EuroAtlantic Airways hat auch die Charterflüge im Februar und März nach Afghanistan durchgeführt. Die portugiesische Charterfluglinie hat eine Basis auf dem Flughafen Lissabon. Neben Charterflügen von Europa aus u.a. in die USA, Kanada, Mexiko und Australien vermieten sie ihre Flugzeuge hauptsächlich an andere Fluglinien wie z.Bsp. TUIfly und TAP Portugal.

Das verwendete Flugzeug war eine Boeing 737-300 mit 302 Sitzplätzen.

Es war an dieser Abschiebung aber noch eine zweite Fluglinie beteiligt. Ein Flugzeug der Charterfluglinie Smartwings ist um 19:53 Uhr von Bukarest nach Stockholm geflogen und hat offenbar Deportees und Beamt*innen aus Rumänien nach Stockholm überstellt. Das Flugzeug hat in Stockholm gewartet bis der Flug der EuroAtlantic Airways aus Kabul zurück war und ist dann gut 2 Stunden später mit den rumänischen Begleiter*innen von Stockholm wieder nach Bukarest zurück geflogen.

Smartwings ist bei Abschiebungen eine alte Bekannte. Besonders für Deutschland waren sie in den letzten Jahren die führende Abschiebecharterlinie. Sie sind in den letzten Jahren auch regelmäßig Charter von Schweden und Finnland nach Afghanistan und von Österreich in den Kosovo und nach Georgien und Armenien geflogen.

Die tschechische Billigfluglinie mit Basis auf dem Flughafen Prag bietet sonst vor allem Linienflüge von Prag aus zu Urlaubszielen rund um das Mittelmeer an. Viele der Flüge sind Codeshare-Flüge mit Czech Airlines.