Endlich gibt es auch vom Innenministerium (BMI) Zahlen und Fakten zu Schubhaft und Abschiebungen 2021. Mit ein paar überraschenden und ein paar nicht so überraschenden Angaben. Dieser erste Post befasst sich mit Schubhaft und den “Rückkehrberatungseinrichtungen des Bundes”.
Schubhaft
In Schubhaft werden Personen genommen, die zwangsweise Außerlandes gebracht werden sollen. Egal, ob Abschiebung (ins Herkunftsland oder ein Drittland, in dem die Person einen Aufenthaltstitel hat) oder Dublin-Überstellung in ein anderes EU-Land. Was nicht zur Schubhaft zählt, ist die kurzfristige Anhaltung vieler Abzuschiebender wenige Tage vor dem Flug. Wenn also jemand, wie es sehr oft der Fall ist, ein bis zwei Tage vor der Abschiebung zur Vorbereitung des Fluges ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) gebracht wird, ist er oder sie nicht in Schubhaft, sondern wird nur angehalten und taucht deshalb auch in den Statistiken nicht auf.
2021 waren laut BMI 4032 Personen in Schubhaft. Es gibt in Österreich dafür 14 Polizeianhaltezentren: eines in jedem Bundesland und 3 in OÖ, 2 in NÖ und 2 in Wien. In einem PAZ wird aber nicht nur Schubhaft vollzogen, sondern auch Verwaltungsstrafhäftlinge sind dort untergebracht. Zusätzlich gibt es rein für Schubhäftlinge das Anhaltezentrum Vordernberg in der Steiermark und die Familienunterkunft Zinnergasse in Wien, in der Familien mit Kindern untergebracht werden. In den Bundesländer-PAZ bleiben die Schubhäftlinge maximal eine Woche, meist kürzer, und werden danach entweder nach Vordernberg oder nach Wien ins PAZ Hernalser Gürtel oder PAZ Rossauer Lände überstellt.
Es gibt in Österreich etwa 500 Schubhaftplätze (das lässt sich nicht so genau sagen, weil in den PAZ ja auch Verwaltungsstrafhaft vollzogen wird und die Plätze innerhalb der Zentren flexibel umgewidmet werden können). Von den 500 Plätzen sind etwa 50 für Frauen und 15 für Minderjährige vorgesehen.
Die Auslastung zum Stichtag 31.12.2021 sah so aus:
Wie lange die Menschen in Schubhaft sind, kann das BMI wie immer nicht sagen, weil angeblich nur die Gesamthaftzeit erfasst wird. Das heißt, wenn jemand zusätzlich zur Schubhaft auch eine Verwaltungsstrafhaft (wegen unbezahlter Verwaltungsstrafe zum Beispiel) absitzt, dann wird da nicht unterschieden. Durchschnittlich wurden Schubhäftlinge 35 Tage im PAZ angehalten. Minderjährige befanden sich durchschnittlich 4 Tage in Schubhaft. Schubhaft kann in Österreich maximal 18 Monate dauern (was an sich schon ein Wahnsinn ist), diese Haftdauer wurde laut BMI 2021 nicht überschritten.
Wie viele Schubhaftbeschwerden 2021 eingebracht wurden und wie oft diesen stattgegeben wurde, kann das BMI nicht sagen, weil (und jetzt kommt mein Lieblingssatz): „Entsprechende Statistiken werden nicht geführt“.
Es gibt zum ersten Mal Angaben über Haftentschädigungen. 2021 wurde 97 Mal Haftentschädigung beantragt, 75 Mal wurde diese auch zuerkannt, in den übrigen 22 Fällen steht die Entscheidung noch aus. Insgesamt hat das BMI 132.287 Euro Haftentschädigung wegen rechtswidriger Schubhaft bezahlt. Das sind im Schnitt 1763 Euro pro Person. Wenn man bedenkt, dass pro Tag rechtswidriger Haft zwischen 20 und 50 Euro bezahlt werden, kann man sich ausrechnen, wie lange diese Personen unrechtmäßig in Haft waren – zwischen 1 und 3 Monaten!
Besonders überraschend ist wie jedes Jahr, dass das Innenministerium nicht angeben kann, wie oft Schubhaft tatsächlich mit der Abschiebung oder Dublin-Überstellung der Personen endet. Der Zweck von Schubhaft ist ja die Sicherung der Außerlandesbringung und das BMI erfasst statistisch nicht, ob dieser Zweck auch erfüllt wird. Laut Innenministerium wird diese Statistik nicht geführt, „weil dies mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden wäre.“ Das lass ich unkommentiert einfach mal so stehen…
„Rückkehrberatungseinrichtungen des Bundes“
Hinter diesem Wortungetüm verbergen sich 3 Unterkünfte, in denen abgelehnte Asylwerber*innen untergebracht und „auf die freiwillige Rückkehr vorbereitet werden sollen“. Laut BMI dienen die Rückkehrberatungseinrichtungen „zur Optimierung und Steigerung der Bereitschaft zu einer eventuell freiwilligen Ausreise“. Die Personen sollen dort Beratung zur Rückkehr erhalten, „um sie so zu unterstützen, ihrer rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung nachzukommen“. Die Zuweisung in so eine Rückkehrberatungseinrichtung erfolgt durch das BFA. Dieses stellt einen Mandatsbescheid aus. Mit Zustellung beginnt die gesetzlich vorgesehene Frist von 72 Stunden, in der sich die Person in der zugewiesenen Einrichtung einfinden muß.
Die Personen sind also nicht freiwillig dort, die Einrichtungen sind allerdings auch keine Gefängnisse. Die Menschen können sich im ganzen Bezirk frei bewegen. Es besteht allerdings eine Wohnsitzauflage, das heißt die Menschen müssen dort wohnen. Befolgt man die Wohnsitzauflage nicht, (kommt also der Aufforderung, in eine Rückkehrberatungseinrichtung zu gehen, nicht nach), so begeht man eine Verwaltungsübertretung – Geldstrafe von 100 bis 1000 Euro oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Wochen beim ersten Mal. Neu ist seit 2019, dass solche Verwaltungsstrafverfahren automatisiert (und damit auf jeden Fall) eingeleitet werden, wenn man sich nicht fristgerecht im jeweiligen Quartier meldet oder von dort unerlaubt fernbleibt. Ein Nichtbefolgen der Wohnsitzauflage kann außerdem dazu führen, dass das BFA Fluchtgefahr annimmt und so laut BMI „auch die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung möglich ist.“
Besonders problematisch ist die Rückkehrberatungseinrichtung in Fieberbrunn/Tirol. Sie liegt auf 1250 Meter Seehöhe mitten in einem Wald, 10 km entfernt vom Ortsgebiet von Fieberbrunn. Die letzten 4 bis 5 Kilometer zum Quartier sind unbefestigter Forstweg. Die Menschen, die dort oben untergebracht sind, haben also eher theoretisch die Möglichkeit, sich im ganzen Bezirk frei zu bewegen. Praktisch werden die Menschen dort oben über Monate mit wiederholter Rückkehrberatung mürbe gemacht. Nach einem Hungerstreik 2019 gab es zwar ein paar Änderungen (unter anderem werden Familien mit schulpflichtigen Kindern dort nicht mehr untergebracht), aber die Lage bleibt weiterhin extrem trist. Die Initiative „Rückkehrzentren schließen“ (http://www.rueckkehrzentrenschliessen.org/) informiert laufend über die Situation am Bürglkopf in Fieberbrunn und in den anderen Rückkehrzentren.
Zusätzlich zur Einrichtung in Fieberbrunn gibt es Einrichtungen in Bad Kreuzen (OÖ) für Familien und in Graz-Andritz, in der Personen mit medizinischem Sonderbetreuungsbedarf untergebracht werden können. Das erschreckt mich persönlich immer wieder – dass Personen, die offensichtlich so krank oder beeinträchtigt sind, dass sie in einer speziellen Unterkunft wohnen müssen, zur freiwilligen Ausreise gedrängt werden sollen.
Zu den Kapazitäten und der Anzahl der untergebrachten Personen im ganzen Jahr 2021 stellt das BMI diese Statistik zur Verfügung:
Es gibt also 540 verfügbare Plätze (ich rechne das gerne aus, wenn das BMI die Zeile frei lässt, weil die Zahl im Vergleich zu den anderen so absurd aussieht) für die 77 dort untergebrachten Personen. Und das sind 77 im ganzen Jahr, nicht an einem Stichtag. Das heißt, diese Einrichtungen stehen quasi leer. Höchste Zeit, sie abzuschaffen.
Leider gibt es für 2021 keine Zahlen zu freiwilligen Ausreisen aus diesen Einrichtungen. 2020 sind aus allen Rückkehrberatungseinrichtungen 6 (in Worten: SECHS!) Personen freiwillig ausgereist. Es ist absurd, dass nicht mal der vordergründige Sinn der Quartiere erfüllt wird – nämlich Menschen zur “freiwilligen Rückkehr” zu überreden. Wenn die Lage in den Herkunftsländern der Menschen so schlecht ist, dass sie auch durch monatelange Unterbringung auf einem schwer erreichbaren Berg in der Pampa in Tirol mit andauernder Rückkehrberatung nicht dazu gebracht werden können, “freiwillig” zurückzukehren, dann werden diese Menschen nicht zurück gehen und es sollte dringend eine andere Lösung gefunden werden. Aber das muss man halt wollen.